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© Dirk Burchard zum 9. November 2011 www.ryker.de/dirk/archiv/hampelmann.html

Die Hampelmänner von Mannheim

Eigentlich hatte mich der Kachelmann-Prozeß gar nicht interessiert – bis die Gerichtsreporterin des SPIEGEL gemutmaßt hat, die Richter müßten sich wie Hampelmänner vorgekommen sein. Ein merkwürdiges Bild hatte Frau Friedrichsen da gezeichnet ausgerechnet mit ihrem Versuch, so etwas wie eine Würde des Gerichts zu verteidigen, und darüber wurde mir bewußt, wie sehr ich mich selbst in einer Richterrobe dort als Hampelmann gefühlt hätte, wenngleich aus völlig anderen Gründen…

Alice Schwarzer sei an der „Wahrheit“ interessiert und wollte deswegen für BILD den Kachelmann-Prozeß verfolgen, war bereits die Meldung, bei der ich vom Thema ausgestiegen war. Dann m@ilte mir ein Freund aus England seinen liebsten Wetter-Moderator halbnackt auf einem Zeitschriften-Cover. Das war jedenfalls origineller als eine mutmaßliche Vergewaltigung durch einen GEZ-Mafiosi, zumal ich Tomasz Schafernaker schonmal gesehen hatte als Spiegel Online krampfhaft einen Skandal der BBC konstruiert hat, wo er versehentlich mit einem Stinkefinger eingeblendet worden war. Dann war es aber die Überschrift „Kachelmann vs. Ex-Freundin: Schlammschlacht zweier Verlierer“, mit der mich Gisela Friedrichsen doch noch in diesen Prozeß gezogen hat mit ihrem Hampelmänner-Vergleich. Und ich möchte es gleich erledigen, das Lesenswerteste dazu waren ein langes Interview der Weltwoche mit Jörg Kachelmann, eine Stellungnahme des Chefredakteurs, warum ihm dafür ein Forum eröffnet wurde, sowie noch ein Interview in der mir als Zeitgeist-Magazin bekannten „Bild-Zeitung der Gebildeten“. Besonders armselig hingegen war die Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim, die vor lauter Empörung sogar noch über anonyme Foreneinträge komplett die Chance vergeudet hat, mit einer Zusammenfassung der angeblich geleisteten Ermittlungsarbeit und Verhandlungsführung zu überzeugen, auf die sich diese Gerichtsentscheidung eigentlich sachlich gründen sollte.

Die Richter im Landgericht Mannheim haben also versagt, den Sachverhalt im Kachelmann-Prozeß zu ermitteln, und Leser meiner Beiträge hier, dürften das ohnehin erwartet haben. Akten zu sexueller Gewalt lesen sich ähnlich verworren wie Verkehrsunfälle, als ob die Beteiligten an völlig unterschiedlichen Konflikten beteiligt waren. Für den Straßenverkehr hat die Rechtswissenschaft sogar eine halbwegs praktikable Lösung gefunden, daß jeder Verkehrsteilnehmer für das Betriebsrisiko seines Fahrzeugs haftet, und im Schadensfall wird dann einfach eine Schuldquote von 50:50 bis 90:10 ausgeknobelt. Das ist bei Versicherungsschäden hinreichend gerecht, aber bei sexueller Gewalt nicht mehr, obwohl beim Sex jeder sowieso seinen eigenen Film abspult und sogar beide Wahrnehmungen irgendwie stimmen können. Wer sich als Richter nicht wirklich auf die Beteiligten einlassen will, sondern einfach nur die Staatsanwaltschaft gegen die Strafverteidiger streiten läßt, um dann hinterher den Daumen zur einen oder anderen Seite zu neigen, kann sich mit einem solchen Verfahren nur blamieren.

Meine allererste Akte im Anwaltspraktikum während meines Studiums war eine Vergewaltigung. Sie enthielt eine eklige Vorstrafe wegen brutaler Vergewaltigung einer gefesselten Frau vor den Augen ihres schreienden Kindes. Aber Opfer im mir damals vorliegenden Fall war eine zwischenzeitlich verstorbene Drogenprostituierte, die bereits fünf andere Freier wegen Vergewaltigung angezeigt hatte, alle ohne belegte Verletzungen und mindestens zwei davon eher nur, um sie vor Polizisten bloßzustellen. Meine Meinung danach war, daß nichts wirklich stichhaltig zu beweisen war und deshalb eine Schlammschlacht auf dem Grab der Verstorbenen zu vermeiden, sowie eine Einstellung des Verfahrens sinnvoll war. Von dieser Einschätzung war ich auch noch überzeugt, als ich im Gerichtssaal den kleinen, stämmigen und schon etwas älteren Angeklagten gesehen habe mit seiner einen ganzen Kopf größeren Mutter, die mindestens genauso kräftig war und irgendwie eher nach seinem tatsächlichen Problem aussah. Die Verhandlung endete sogar durchaus entsprechend meinen Vorstellungen mit einem Freispruch aufgrund Mangels an Beweisen, und das Verfahren holte mich dann später ein, weil meine damalige Lernpartnerin sich auf sexuelle Gewalt spezialisiert und ihre Praktika bei der Staatsanwaltschaft absolviert hatte, deren Wut auf Vergewaltiger ich zwar sogar in diesem Fall nachvollziehen konnte, aber schon damals war mir die Vertrauenswürdigkeit in tatsächliche Sachorientierung der Rechtsprechung wichtiger als die Illusion, damit jedes soziale Problem zu lösen. Schon während meines Studiums war mir daher einigermaßen tiefgründig bewußt, daß es bei Verfahren um sexuelle Gewalt vor allem um frühzeitige Beweissicherung geht, also um das, woran Opfer leider unmittelbar danach überhaupt kein Interesse haben, nämlich ihre frischen Verletzungen ärztlich dokumentieren zu lassen. Die meisten sexuell mißbrauchten Frauen würden nach einer Strafanzeige eine solche nicht noch einmal erstatten, während sexuell mißbrauchte Männer sich üblicherweise schon gar nicht den Strafverfolgungsbehörden anvertrauen.

Von Richtern und anderen Sympathisanten

Nun sind Staatsanwälte und Richter sich in jeder Stadt sehr bekannt, sie haben dieselben Initationsriten während ihrer Ausbildung und beim Seilschaften in die Staatsbesoldung durchlaufen, sie besuchen dieselben Juristenbälle, heiraten gern untereinander, und in Hamburg ist mir auch eine Häufung adeliger Richter aufgefallen, weil es ja nicht nur im Auswärtigen Amt so funktioniert, daß die Diplomatenposten der eigenen Brut vermacht werden, wie das beim Nachruf-Skandal bekannt wurde. Justiz in Deutschland ist so etwas wie „Feuerzangenbowle“ ein ganzes Berufsleben lang (und genauso miefig). Wenn also der staatsbesoldete Korspgeist nicht höher stünde als die Fassade der richterlichen Unabhängigkeit, hätten die Landrichter in Mannheim der Staatsanwaltschaft deren Kachelmann-Anklage zerfetzt, die bekanntlich keine stichhaltigen Beweise enthielt, sondern nur „verarschte“ Ex-Freundinnen von Jörg Kachelmann aufgeboten hat, um den Eindruck zu erwecken, daß wenn einer so mit Frauen umginge, dann auch ein Vergewaltigungsvorwurf stimmen sollte. Ja, genau dann hätte ich mich als Hampelmann gefühlt, wenn ich so eine Akte vorgelegt bekomme und eine Robenshow dafür veranstalten soll, in der geballt schmutzige Beziehungswäsche gewaschen wird, an der sich vermutlich der Mob erheitern soll wie an Hinrichtungen im preußischen Kaisserreich. Sofern Claudia D. tatsächlich das Opfer von sexueller Gewalt durch Jörg Kachelmann geworden sein sollte, wäre sie schon mit dieser Anklage verheizt worden, mit welcher der eigentliche Sachverhalt gar nicht zu beweisen war. Heute sind jedenfalls beide durch dieses Justizversagen beschädigt, zumal sich die Richter bei der Urteilsverkündung auch noch über Kachelmanns Verteidiger beschwert haben, daß sie so etwas wie ihn nicht bräuchten. War das ein richterliches Eingeständnis, daß sie sich lieber an einer Beziehungsschlammschlacht erheitert hätten, anstatt systematisch die Ermittlungsarbeit und ihre eigene Verhandlungsführung als rechtstaatlichen Grundsätzen nicht entsprechend demontiert zu bekommen? Wenn die Akte tatsächlich allein sachliche Aspekte enthielt, die systematisch abgearbeitet wurden, hätte die Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim wenigstens die wichtigsten davon benannt, nach denen letztlich entschieden wurde. Am Ende eines rechtstaatlichen Erkenntnisverfahrens hat allein eine begründete Darlegung zu stehen, von welchem Sachverhalt aufgrund welcher Erhebungen bei seiner rechtlichen Würdigung ausgegangen wurde und keine Beschimpfung anonymer Forenschreiber im Internet.

Vollends als Hampelmann hätte ich mich nach einem solchen Verfahren allerdings gefühlt, als der Fall Dominique Strauss Kahn durch die Medien ging und damit professionelle Ermittlungsarbeit der New Yorker Ankläger. Schon die Eröffnung war ein großer Knall, den Präsidenten des IWF „DSK“ aus dem Flugzeug heraus zu verhaften, der damals noch der wahrscheinlichste sozialistische Herausforderer des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy war. Deshalb sah zunächst noch alles nach einem Komplott aus, als „DSK“ sein Auschecken im Hotel belegen konnte noch vor dem zunächst angegebenen Tatzeitpunkt. Aber die Ermittler müssen verdammt sorgfältig Beweise gesammelt haben, daß sie trotz dieses dramatischen Fehlers bei der Zeitangabe, „DSK“ in Untersuchungshaft behalten konnten und dieser kurz darauf die sexuellen Handlungen einräumte, verteidigt von einem Anwalt, gegen den Kachelmanns letzter Strafverteidiger ein Kuscheltier war. Schon während der laufenden Ermittlungen war klar, daß es in einer Anklage nur noch um die Frage einer wirksamen Einwilligung des Zimmermädchens gehen würde, und als den New Yorker Anklägern zu ihrem Tatopfer Aspekte bekannt wurden, die im Verfahren riskant wären, um die Jury vom Schuldvorwurf zu überzeugen, haben sie das Verfahren beendet, selbstverständlich auch um weitere Beschädigungen des mutmaßlichen Opfers zu vermeiden. Die Mannheimer Ermittler, sowie die dort mitspielenden Richter sind von ihren New Yorker „Kollegen“ jedenfalls brutalstmöglich deklassiert worden und haben eigentlich ihre Staatsbesoldung und Pensionsansprüche verwirkt mit ihrer dramatischen Beschädigung des Vertrauens in rechtstaatliche Aufarbeitungen von sexueller Gewalt, denn wenn derartige, von der Öffentlichkeit infolge der Prominenz des Angeklagten aufmerksam verfolgte Verfahren schon derart vergeigt werden, wie verlaufen dann erst jene ohne öffentliche Kontrolle?

Ja, ich darf mir solche Urteile erlauben, weil ich für eine tatsächlich rechtstaatliche und verfassungsgemäße Juristenauslese eingestanden habe, mit der sich im vergangenen Jahrzehnt vielleicht schon etwas jener in New York etablierten Fachkompetenz in der deutschen Justiz etabliert hätte. Die vorherrschenden Defizite der bundesdeutschen Justiz sind am einfachsten zu begreifen mit einer Kombination aus Ernst Wolfgang Böckenförde und Peggy Parnass: Ersterer – immerhin ein ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht – kritisierte mit großer Zustimmung der damaligen Justiz-Elite [NJW 1997, 2935], daß die bundesdeutsche Juristenausbildung mit einer systematischen „Blockade des selbständigen Denkens“ repetitorkompatible Juristen hervorbringt, die Auswendiggelerntes reproduzieren und nicht methodologisch denken [JZ 1997, 317, 319f.], und genau dieses für die Ausübung des Richteramts charakterlich eher ungeeignete Ausleseergebnis darf sich dann einreihen zum Durchtreten des Korpsgeists in der personell nach dem Krieg und danach niemals kulturell entnazifizierten bundesdeutschen Justiz. Beispielhaft verweise ich erneut auf die Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim, die geradezu jämmerlich ein blindes Vertrauen in Justiz und Ermittlungsbehörden einfordert und nicht im Ansatz mit einem sachlich am Einzelfall orientierten Erkenntnisverfahren zu überzeugen versucht. Bei Juristen, die schon ihr Studium mit Auswendiglernen und oftmals auch noch burschenschaftlichen Rangordnungskämpfen vergeudet haben, anstatt sich ein komplexes Verständnis von Freiheitsrechten zu erarbeiten, kann schwerlich etwas anderes herauskommen als Stammtischjuristerei, in der Gerichtsreporter wie Gisela Friedrichsen krampfhaft nach Würde suchen. Meine Schwerpunkte während meines Studiums waren Umweltrecht, während meines Referendariats wurde es die Informationelle Selbstbestimmung, und danach ist mir wegen meines Eintretens für eine verfassungskonforme Juristenausbildung meine berufliche Karriere beendet worden, sonst hätte ich mindestens mit dieser Tiefgründigkeit weitergemacht. Strafrecht hingegen war nie mein Schwerpunkt, aber wenn ich diesbezüglich Defizite eingestehe, bedeutet das vor allem ein Fehlen einer mich selbst überzeugenden Vision, den Widerspruch aufzulösen, daß das bestehende Strafrecht die Gefängnisse ganz überwiegend mit Männern aus der Unterschicht zumeist nur wegen Bagatelldelikten füllt, während etwa die in den Banken für die Milliardenschäden der Steuerzahler verantwortlichen Zocker noch nicht einmal angeklagt werden, denn schon während meines Anwaltspraktikums war ich offensichtlich weiter als fast zwei Jahrzehnte später die Ermittler in Mannheim, und zwar infolge meiner Offenheit für jene, die sich damals schon mit sexueller Gewalt tatsächlich auseinandergesetzt haben. Aber die 1949 umetikettierte naziJustiz, in der seitdem nur wenig rechtstaatliche Kultur etabliert werden konnte, hat leider danach gelechzt, die 1990 noch in den 50ern stehengebliebenen DDR-Bürger, die nicht einmal den Prager Frühling mitgemacht hatten, als ihre fünfte Kolonne zur Ausmerzung des von ihnen verhaßten Liberalismus einzuspannen, der mangels echtem Liberalismus in Deutschland als Kampfklischee der 68er daherkommt. Dieser im deutschen rechts-reaktionären Spektrum beliebte 68er-Haß ist daher derselbe antiLiberalismus, mit dem der christlich-fundamentalistische Rechtsextremist Anders Behring Breivik in Norwegen am 22. Juli 77 Menschen getötet hat (…dazu zeitlich unmittelbar auf diesen Beitrag die „neue deutsche Überraschung“ wegen Breiviks deutscher Entsprechungen: Zwickauer Zelle: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39).

Die „Preußische Baumschule“ war das immer wiederkehrende Ausbildungsideal in Joseph Goebbels Propagandakino, das ab 1949 die umetikettierten naziRichter in die Bundesrepublik überführten: „Ein Staat, der wächst nach denselben strengen Gesetzen wie die Natur. Wär' doch schön, wenn man die Menschen auch so heranziehen könnte wie die Bäume“ oder „Disziplin muss das Band sein, das [junge Menschen] bindet – zu schönem geraden Wachstum!“ Mit dieser braunen Tradition hätten die Bundesverfassungsrichter Renate Jaeger, Dieter Hömig und Brun-Otto Bryde am 25. April 2002 in der Juristenausbildung brechen und seitdem endlich vermehrt Fachkompetenz in der bundesdeutschen Justiz etablieren können, aber vielmehr bestätigten sogar die Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch, Siegfried Broß und Gertrude Lübbe-Wolff am 7. September 2004, daß mit einem aus Falschzitaten konstruierten, rechtswidrigen Disziplinarverfahren, mit denen sich eine OLG-Präsidentin entgegen elementarster rechtstaatlicher Grundsätze selbst zum Opfer eines sogenannten Dienstvergehens erklärt hatte, weil sie auf ihre Verantwortung für die ihr anvertrauten Rechtsreferendare hingewiesen worden ist, und deren Selbstjustiz mittels Dispziplinarverfügung danach ein Mob aus hochbezahlten Juristen durchgetreten hat wie neoNazis beim Ausländerklatschen, daß derart ausgesondert werden darf, wer sich an rechtstaatliche Grundsätze hält und sich nicht am Durchtreten von derartigen naziTraditionen beteiligt (anderes gilt übrigens bei rechten Gesinnungen). Daß eine solche Aussonderung endgültig und das Nachtreten gegen jeden Neuanfang 1000jährig bleibt, hatten daraufhin nochmal am 16. Mai 2006 die Bundesverfassungsrichter Evelyn Haas, Brun-Otto Bryde und Michael Eichberger beschlossen, sowie am 14. Februar 2008 die Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, Wolfgang Hoffmann-Riem und Michael Eichberger. Diese Herrschaften hatten allesamt einen Amtseid geschworen, Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben, ließen und lassen sich für die Ausfüllung dieser Verantwortung bezahlen und sind für die Gewährleistung von tatsächlich effektiven Rechtschutz gegen Verletzungen von Grundrechten verantwortlich. Als Bundesverfassungsrichter trifft sie ein Organisationsverschulden, wenn keine tatsächlich effektiven Rechtschutzmöglichkeiten zur Wahrhehmung der verfassungsgemäßen Grundrechte zur Verfügung stehen – die genannten Bundesverfassungsrichter haben jedenfalls aktiv dafür gesorgt, daß der Zugang zum Richteramt in Deutschland auf die Reproduktion von auswendiggelernten Phrasen im Korpsgeist beschränkt bleibt und darüber hinaus erarbeitete Fachkompetenz zur Herbeiführung von Einzelfallgerechtigkeit ausgemerzt wird.

Die „Wahl“ von Bundesverfassungsrichtern ist für deutsche Verhältnisse sogar noch vergleichsweise demokratisch organisiert. Im Gegensatz zum noch viel diskreteren Geschacher um alle anderen Richterposten in diesem Land werden Bundesverfassungsrichter vom Richterwahlausschuß des Bundestags bestimmt, wo sich ein Vorschlagsrecht nach Parteienproporz etabliert hat. Diese Parteienproporzrichter halten sich dann in Karlsruhe einen ganzen Staat von blasierten Hofschranzen, die etwa 99% aller Verfassungsbeschwerden in einen Nichtannahmebeschluß treiben, für den drei Bundesverfassungsrichter die Verfassungsbeschwerde vermutlich in einer Massenschnellabfertigung einstimmig und regelmäßig ohne Begründung zurückweisen. Das ist schwerlich tatsächlich effektiver Grundrechteschutz, und überzeugt mich bis heute nicht gegen meine am 25. April 2002 dort plattgestampfte Konzeption, einen besseren Grundrechteschutz durch mehr Fachkompetenz und damit überzeugenderen Rechtsfrieden schon in unteren Instanzen zu begründen, anstelle des leider vorherrschenden Korpsgeists mit Stammtischjuristerei. Ohne ein Konzepts für effektiveren Grundrechteschutz überhaupt, präsentierte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle aber im August dieses Jahres seine Idee einer Strafgebühr für aussichtslose (= nicht korpsgeistkompatible!) Verfassungsbeschwerden einzuführen, und die GEZ-Mafia sprach in ihrer tagesschau von Querulanten, die bis zu 500 Verfassungsbeschwerden einreichten, als würden diese nicht sowieso nur einmalig von einer Hofschranze überflogen und dann mit einem Sammelbeschluß innerhalb einer Minute abgefertigt. Nein, das Justizproblem in Deutschland sind nicht vermeintliche Querulanten, sondern ein Übermaß an reaktionärer, verfassungswidriger Stammtisch- und gesinnungsJuristerei, wie sie kürzlich in Hamburg erst auf massiven öffentlichen Protest und noch nicht einmal endgültig gestoppt wurde.

Für Frau Friedrichsen – immerhin die berühmteste Gerichtsreporterin in diesem Land – dürfte es in Zukunft immer schwieriger werden, so etwas wie Würde im abgründigen Nichts zu erblicken, und das ist auch gut so. Ich kann mich an so unglaublich wenige Erlebnisse während meiner Juristenausbildung erinnern, wo mich mal jemand wirklich beeindruckt hätte, und ich weiß heute auch nicht mehr, wo ich eigentlich die Energie hergenommen habe, es mit diesem Augiasstall aufzunehmen, auch noch eine positive Vision für tatsächlich effektiven Rechtschutz zu erarbeiten. Heute weiß ich immerhin, daß ich die positivste Vision dafür noch bei den Madgeburger Kammerspielen mit „Persifedron“ gesehen habe und kann schonmal auf ein Jahr 2011 mit beeindruckenden Demontagen zurückblicken: Herausragend war insbesondere das GuttenPlag Wiki mit seiner exzellenten Dokumentation, für welch gehaltloser Schaumschlägerei die Justizkaste bei opportuner sozialer Herkunft und politischer Gesinnung Bestnoten auswirft – auch mein letztes Werk vor meiner beruflichen Aussonderung enthält übrigens kein einziges Plagiat, weil ein Verzicht auf selbständiges Denken für mich niemals eine Versuchung war. Originell in diesem Jahr war auch Heiner Geißler bei seiner gescheiterten Stuttgart-21-Schlichtung mit seiner nachträglichen Rechtfertigung Willy Brandts: Bis er sich mit Helmut Kohl überworfen hatte, war Geißler dessen schärfste Kartätsche, der mit asozialen Provokationen gegen links eine effektive Oppositionsarbeit verhindern wollte, von denen seine berüchtigste war, daß der Pazifismus der 30er Jahre Auschwitz erst möglich gemacht hätte. Anders als seine Parteifreundin Rita Süssmuth hat Geißler niemals für politische Inhalte gestanden, Willy Brandt hatte ihn deshalb als schlimmsten Hetzer seit Goebbels beschimpft, und jetzt hat Geißler selbst sich ausgerechnet Goebbels schlimmste Hetz-Parole zu eigen gemacht und damit den angemessenen Schlußpunkt seiner Schlichtung selbst gesetzt. Am härtesten wurde aber Wolfgang Schäuble von seinem eigenen Geschwätz eingeholt. Der war auch Kohls Kartätsche als er noch laufen konnte und wurde im Rollstuhl dessen Chef-Ideologe. Schäubles Europa-Politik zur Hochphase des neopreußisch-nazionalen Wiedererwachens nach Abzug der alliierten Besatzungstruppen lautete ganz einfach „Kerneuropa“, daß die stärksten Länder in der EU die Marschrichtung vorgeben. Das hat er auch bekommen, weil im Fahrwasser dieser Ideologie korruptionsfreundliche Regierungen insbesondere in Griechenland und Italien mit Krediten an der Macht gehalten wurden wie die SED-Herrschaft in der DDR von Franz-Josef Strauß mit dessen legendärem Milliardenkredit ohne nennenswerte Gegenleistung, und diese „Kerneuropa“-Ideologie hat nun zu einer Schuldenkrise in der Eurozone geführt, die Wolfgang Schäuble als Bundesfinanzminister bisher wenig voranschreitend und ganz überwiegend durch Belastung der Steuerzahler „bewältigt“ hat. Ein Europa der Menschen- und Bürgerrechte wäre meine Vision gewesen statt dieser letztlich sehr teuren nationalistischen Kleinstaaterei, und deshalb gilt mein besonderer Dank in diesem Jahr Vaclav Havel für seine sogar erfolgreiche Aktion gegen die weitere Putinisierung der Bundesrepublik Deutschland.

Das Chaos wird größer werden unter einer Elite, die sich zunehmend von Krise zu Krise mogelt, sich dafür üppig bezahlen läßt und seit Jahrzehnten bessere Konzepte möglichst schon bei ihrer Entwicklung unterdrückt hat. Ihre Laufzeitverlängerung nach dem rot-grünen Atomausstieg hat die früher gnadenloseste Interessenvertreterin der Atom-Industrie Angela Merkel dieses Jahr nur rückgängig gemacht aus Angst, Fukushima könnte ihr das Superwahljahr versauen, als Klima-Queen hatte sie sich nur so lange präsentiert, wie sie sicher war, von ihrem Freund George W Bush gestoppt zu werden, und ebenso gern wird sie ihren neuerlichen Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer von Barrack Obama und David Cameron stoppen lassen, die sie selbst bereits politisch bekämpft hat, als 1998/99 Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine eine Regulierung der Finanzmärkte angestrebt hatte und sich dabei nicht von Bundeskanzler Gerhard Schröder stoppen lassen mochte. Da liegen bald keine Projekte mehr in den ministerialen Schubladen, die für folgenlose Ankündigungen verheizt werden könnten, und dann wird jener Küchenverkäufer aus der Uckermark recht behalten, der schon 2005 wußte: „Wenn Merkel kommt, kommt das Chaos.“ Vielleicht kommt dann auch Peer Steinbrück mit Hartz V bis XII, um die kerneuropäischen Finanzkrisen zu bezahlen. Aber sicher weiß ich, daß lohnabhängige Beschäftigte aufpassen müssen, insbesondere bei „Sexangeboten“ am Arbeitsplatz – nicht nur Hotelangestellte bei Führern vormaliger Arbeiterparteien, die es darüber zu mächtigen internationalen Inkassodienstleistern gebracht haben. Ich weiß sogar aus eigener Erfahrung, daß ich aufpassen muß bei Frauen, die (nicht nur von Kachelmännern) „verarscht“ wurden: Auf meinem Weg zum Nachtbus am Hauptbahnhof in Hamburg bin ich am Steintorplatz vor einigen Jahren mal von einer vermutlich Drogenprostituierten am Arm festgehalten worden, an deren Dienstleistungen ich aber nicht einmal aus Mitleid Bedarf hatte. Auf meine wiederholte Bitte, daß ich nicht angefaßt werden wollte, keifte sie irgendwann: „Ihr faßt uns doch auch immer an“, woraufhin ich mich losgerissen habe, um nicht in Kollektivhaftung für von anderen verursachte Verletzungen genommen zu werden. Genau solches Chaos produzieren jene, die sich für die Bereitstellung von tatsächlich effektiven Rechtschutz bezahlen lassen und systematisch versagen. Denen wünsche ich, daß sie das irgendwann einholt, vielleicht wie kürzlich den texanischen Familienrichter William Adams, und allen anderen wünsche ich, daß sie wenigstens noch rechtzeitig wegkommen wie Rudolf Nurejew, als das Schwein ihn in einer Dampfsauna sexuell belästigt hat:





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