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© Dirk Burchard am 31. Dezember 2006 www.ryker.de/dirk/archiv/mutzurwut.html

Mut zur Wut

Schwarz sehen im Thalia in der Gaußstraße

DIE ZEIT vom 17. September 1998

Das erste Zeitgeist-Magazin, das ich in meinem Leben gekauft hatte, war DIE ZEIT vom 17. September 1998, die im Stil der vormaligen TEMPO und WIENER titelte: Rechts wird schick. Ich konnte mir vorstellen, wie affektierte ZEIT-Schnösel in Hamburg angeregt diskutierten, welches Outfit und welche Acessoirs sie zur neuen Modewelle wählen würden, während ich damals in Magdeburg wohnend regelmäßig vor Augen hatte und erleben mußte, daß dieser braune Mainstream mit schick zuallerletzt etwas zu tun hatte. Seitdem habe ich mir niemals wieder DIE ZEIT gekauft. TEMPO und WIENER hatte ich mir auch nie gekauft - in den 80ern gab es viel mehr zu erleben, so daß ich beide bestenfalls irgendwo rumliegend durchgeblättert hatte nach interessanten Photos, denn ich wollte damals Photograph werden. Die erste TEMPO, die ich mir überhaupt gekauft habe, war daher am 8. Dezember 2006 die Sonderausgabe nach 20 Jahren, wie dieses Blatt zehn Jahre nach seiner Einstellung heute aussehen würde. Da war es wieder, dieses 80er-Gefühl, dieses eher belanglose Zeitgeist-Magazin durchzublättern und wegzulegen, wenn mich nicht Der TEMPO-Shop auf Seite 370 hätte innehalten lassen mit diesem T-Shirt und dem Aufdruck: MUT ZUR WUT.

An eben jenem 8. Dezember 2006 hatte ich auch eine MOPO gekauft, denn mein Vater war unterwegs zu mir nach Hamburg, und ich wollte für uns eine Theaterveranstaltung oder eine Kinovorführung aussuchen. Das war frustrierend, denn alle guten Theaterabende in Hamburg lagen lange zurück: Parzival und Tanzhalle von Sandra Strunz, Mein Gastspiel mit den bayerischen Geishas, Fiege, ein Stück ohne Geilheit oder auch Jim Whiting The Rotters - alles auf Kampnagel vor der Intendantin Gordana Vnuk oder Sarah Kane, Marleni und Der okkulte Charme der Bourgeoisie bei der Erzeugung von Reichtum vor dem durch Dana Hóraková erzwungenden Intendanzwechsel im Schauspielhaus. Nichts mehr ist von diesen kreativen Feuerwerken geblieben seit dem Wüten des Spießbürgersenats unter Ole von Beust, und deshalb mochte ich mich für Schwarz von Nuran David Calis im Thalia in der Gaußstraße auch sogleich entscheiden, das von einer Gruppe politischer Aktivisten und ihren Aktionen handeln sollte.

Dieser Theaterabend verlief kurzweilig und lustig mit zahlreichen pointierten Grotesken, die ein Zusammentreffen von Aktivisten bürgerlicher Herkunft mit zwei U-Bahnputzern aus der Unterschicht hergibt. Allerlei feinsinnige soziale Beobachtungen forderten ständig die Zuschauer heraus, weil niemals klar war, ob Gesellschaftskritik als Klischee verpackt oder nur ein Klischee reproduziert wurde, wie letzteres für das 18jährige Girlie gelten mag, das Muschiglühen bei einem Alt-Aktivisten statt bei metrosexuellen Weicheiern sucht. Selbst als U-Bahnputzer Reza als MTV-kompatibler Rapper mit faschistischem Führerkult die bürgerlichen Kids kommandiert bleibt dies eine für die Handlung konsequente, aber in seiner Auslegung vollkommen vieldeutige Szene. Und das machte auch den Reiz dieses Theaterabends aus, daß er jeden Zuschauer zur eigenen, individuellen Meinungsbildung - ja, nötigte wäre wohl nach den kulturell gleichgeschalteten 90ern die richtige Vokabel. Für Maike Schiller als Redakteurin für Springers Hamburger Abendblatt schien das noch eindeutig, da sie als verallgemeinertes man glaubte, solche Hobby-Aktivisten hätte die Gesellschaft in den 80er-Jahren zurückgelassen. Und auch Hans-Olaf Henkel könnte man sich problemlos vorstellen, wie für seinesgleichen Rezas Führerkult diese Aktivisten als tatsächliche Faschisten outet, denn das Thalia weist darauf hin: Gefördert durch den Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI. Aber das Stück zeigt auch die tendenziell klassenkämpferische Frage des sozial integrierten Außenseiters Anton an den chancenlosen Außenseiter Horst nach den Gründen ihrer sozialen Unterscheidung. Solche Fragestellungen haben schonmal das Konzept Stadtguerilla hervorgebracht, um die südamerikanische Theologie der Befreiung von Diktatoren wie Pinochet auf die Bundesrepublik Deutschland zu übertragen, die 1949 mit umetikettierten alten naziSeilschaften nahezu bruchlos weitergemacht hatte.

Gut gewählt waren die einfachen Beispiele für politische Aktionen. Wer mochte schon diese fröhlich lächelnde Ratte bei der Räumung von Landminen verheizen? Das Stück machte hier ein Lachen über die politischen Aktivisten so einfach, daß selbst dem dümmsten Zuschauer bessere Ziele ins Bewußtsein drängen mußten, für die auch sein Einsatz sinnvoller wäre und vielleicht sogar Spaß bereiten könnnte. Nicht? Dann einfach mal drei Beispiele für jene, denen die Fälschungen der Arbeitslosenstatistik durch die sogenannten Hartz-Reformen und die damit einhergehende Perspektivenvernichtung für breite Bevölkerungsschichten zu kompliziert sind:

Mag sein, daß sich Springer durchsetzen wird mit seiner Propganda, Schwarz würde die Alternativkultur der 80er delegitimieren, obwohl dem Mob bald nichts mehr zum Abreagieren bleibt, um weiter sein Gemeinschaftsgefühl der Reichspogromnacht zu zelebrieren. Mag auch sein, daß sich dieses Stück erfolgreich einer solchen Vereinnahmung selbst durch das Thalia widersetzen wird, wo ich schonmal eine massiv von Derek Jarmans Film inspirierte Aufführung von Edward II gesehen hatte, ohne daß dieser im Programmheft erwähnt wurde. Beim Verlassen des Thalia entdeckte ich beim Merchandising T-Shirts mit dem Aufdruck Kein Drama. Gefragt, ob ich eins kaufen wollte, mochte ich kaum sagen, daß ich eigentlich Mut zur Wut wollte und erwiderte, daß ich lieber Drama ohne kein davor hätte. Ich bekam achselzuckend die Antwort, daß es das vielleicht im nächsten Jahr gäbe...

Der TEMPO-Shop




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