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© Dirk Burchard zum 9. November 2008 www.ryker.de/dirk/archiv/danaharakiri.html

Dana Harákirí - Das Musical

Musicals in Deutschland sind seichte Unterhaltung. Selbst das berühmteste, deutsche Geschichte anspruchsvoll kommunizierende Werk stammt vom Broadway: Cabaret. Dabei gäbe es in Deutschland heute noch Stoff genug für sozial relevante Musicals. Trotzdem wird es auch Dana Harákirí niemals in deutsche Unterhaltungs-Tempel schaffen - es gibt jedoch eine winzig kleine Chance:

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Dana Harákirí genoß ein intellektuell anregendes Leben unter Regimekritikern in der kommunistischen Tschechoslowakei. Der KGB drängte sie jedoch nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zur Ausreise. Im ehemals Goldenen Westen will sie unbedingt auf eigenen Beinen stehen und verdingt sich bei einer reaktionären Hetz-Postille im Irrlauben, deren giftiger Anti-Kommunismus sei gleichbedeutend mit einem Eintreten für Menschenrechte und Freiheit. Sie verstrickt sich in schlechte Gesellschaft.

Aktuelle Kamera 2.0

Zwischenzeitlich fällt der antifaschistische Schutzwall zwischen beiden deutschen Staaten, die sich wiedervereinigen, und deutsche Politik wird wieder in Preußen gemacht. Die westReaktionäre wittern ihre Chance, die Zeit zurückzudrehen, denn individualisierte Menschenrechte sind für sie eine von sogenannten 68ern verschuldete Entartung, die sie unter west-alliierter Besatzung nicht brechen konnten, weil sie demokratische Läuterung heucheln mußten. Als die politische Elite in der verkokst selbstverliebten Großstadt schwächelt, wird medial eine Bedrohungsangst geschürt, die Reaktionäre übernehmen die Macht, und erst danach explodiert die Gewaltkriminalität. Zur neopreußischen Gleichschaltung eines noch immer sehr lebendigen Kulturlebens machen sie die desorientierte Dana Harákirí zur Kultursenatorin und lassen sie als Machtdemonstration zunächst einen erfolgreichen Generalmusikdirektor der Staatsoper, sowie den Intendanten absägen. Danach ist das Schauspielhaus dran. Das Vergehen des Intendanten: Seine Einnahmen waren zu gering, weil er zu viele ermäßigte Karten an Schüler und Studenten verkaufen würde, die auswendiglernen und gedrillt, aber von selbständigem Denken ferngehalten werden sollen. Damit Neues eine Chance hat, muß Altes sterben, das erklärte Motto der Kultursenatorin Dana Harákirí, hängt dämonisch über der Stadt. Aber als die übrigen Kulturbetriebe mit Selbstzensur einknicken und nur noch opportune, sozial belangslose Wohlgefallensdarbietungen aufführen, wird sie entlassen.

Chinesische Tonkrieger im Quarree Wandsbek

Mit gebrochenem kulturellem Rückgrat verblödet die gesamte Stadt. Der Bürgermeister stellt sich feudal über allerhöchste demokratische Entscheidungslegitimation und wird trotz seiner gebrochenen Volksentscheide von einer ehemals alternativen Partei als lupenreiner Demokrat hofiert. Die ehemals alternativen Frauen kuscheln gern mit dem Volksentscheidbrecher und schwärmen, das einzig konservative an ihm seien seine blauen Anzüge. Für seine Anerkennung schlucken sie jede Kröte. Sie legitimieren seine Volksentscheidbrecherei nachträglich mit einer Verfassungsänderung, als seien Volksentscheide erst damit demokratisch hochrangiger als Volksvertreterentscheidungen. Ein rechtspopulistischer Innensenator zieht zum Koksen in das Rotlichtviertel von Rio de Janeiro, und trotz Aufdeckung von dessen vormaliger Gesinnungsjuristerei als Amtsrichter fragt niemand, wieso im Geschacher bei der Richterauslese dessen charakterliche Mängel niemandem aufgefallen sein sollen oder ob vielmehr seine Gesinnung in der Justiz-Kaste nicht ebenso opportun war wie bei der reaktionären Hetz-Postille. Ein anderer rechtspopulistischer ehemaliger Senator mit Hang zum Sterben anderer Menschen gründet eine Selbstmordsekte. Die örtlichen Finanzbeamten finden diese Selbstmorde gemeinnützig und besonders förderungswürdig und gewähren der Sekte großzügige Steuervorteile. Eine lokal prominente Nachrichtensprecherin verheddert sich bei einer Kampfschrift für das archaische Familienideal mit der Familien-Ideologie des Nationalsozialismus und wird später durch eine Nachwuchs-Blondine ersetzt, die Nachrichten monoton im Stil der Aktuellen Kamera der DDR verliest. Museumsdirektoren lassen sich plump gefälschte Kunstwerke unterjubeln. Theateraufführungen geben keinen Anlaß zur Diskussion mehr, sondern höchstens zu Small Talk, ob ein kettenrauchender ehemaliger Bundeskanzler ein neues Nichtraucherschutzgesetz beachten wird, das keine Ausnahmregelungen für altgediente Eliten vorsieht. Kulturbetriebe erzeugen Aufmerksamkeit in der Presse mit Scharfmachereien, neu erwachte Blockwarte würden gegen Raucher eine Pogromstimmung erzeugen, weil tatsächlich Nichtraucher sich gegen die Vergiftung ihrer Atemluft zu wehren beginnen. Theaterbühnen werden von Soldaten mit Auto-Crash- und Stunt-Shows erobert. Um die Avantgarde abzudecken, werden im Theater Fassbinder-Filme dialoggetreu nachgespielt. Als Sozialkritik gilt die Vorführung von Langzeitarbeitslosen als Sozialneider, die eine Reichenliste aus einem Kapitalanleger-Magazin verlesen. Auf rechtsanwaltlichen Druck werden aber nur noch die Sponsoren erwähnt und zwecks Werbung öffentlich ein Skandal um vermeintliche Zensur inszeniert. Musik aus Deutschland muß wieder Richard Wagner sein, anstatt Kurt Weill. Lesungen von Heinrich Heine werden niedergeknüppelt. Irgendwann geht es bei der Kultur überhaupt nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Bauprojekte, die bisherige städtische und internationale Wahrzeichen übertrumpfen sollen und bei dessen Entwurf sich niemand getraut hat zu sagen, daß schon dieser dem Vergleich mit der Oper von Sydney nicht standhält (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102 , 103 , 104, 105, 106, 107, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149 , 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162 , 163, 164, 165, 166, 167).

Elbphilharmonie

Beim Austausch mit ihren ehemaligen tschechischen Weggefährten erkennt Dana Harákirí, daß sie deren Ideale preisgegeben hat. Sie begreift ihre Irrtümer, für westReaktionäre eine in Jahrzehnten ohnehin nur langsam gewachsene Kulturszene zerstört und viele Kulturschaffende um ihre Perspektiven gebracht zu haben. Die veröffentlichten Erinnerungen und Wirrungen von Dana Harákirí unter Reaktionären im nicht mehr Goldenen Westen werden als Musical am Broadway ein Welterfolg. Besonders beindruckt die New Yorker Kritiker die Bloßstellung dieser subtilen gesellschaftlichen Entwicklung, wie in der Bundesrepublik nach Abzug der westalliierten Besatzungstruppen 45 Jahre liberalistisch-demokratische Aufbauarbeit zerstört wurden und dieses neopreußisch gleichgeschaltete Gesamtdeutschland entstehen konnte, das sich schleichend den Gazprom-Seilschaftereien der KGB-Schergen um Wladimir Putin anpaßt und sich nicht mehr an westlichen Freiheitsidealen ausrichtet. Eine inhaltlich selbstverständlich völlig entstellte Fassung des Muscials Dana Harákirí wird dann vielleicht auch in Deutschland gezeigt werden, aber nur wenn irgendwelche Baulöwen erneut hunderte Steuermillionen abzweigen können, um zum Beispiel eine riesig gefloppte Philharmonie in ein Theater umzubauen…

Nachtrag: Kurz nach dem Onlinestellen gab es in jener Stadt, in der mein erster Theaterbesuch am 26. September 1996 Blasted von Sarah Kane war, einen neuen Höhepunkt im sogenannten politischen Theater: Ein Volksfeind von Henrik Ibsen. Eine Inszenierung, die auch Texte wie den vorstehenden als eitle Rede ans Volk mit fratzenhaften, bigotten Zügen brandmarken soll. Zwar nehme ich auch deartiges zum Anlaß zu kritischer Selbstreflexion, aber diesen reaktionären Stil, eine bestehende Un-Ordnung zu bewahren durch Verächtlichmachung jedweden Aufbegehrens hatte ich hier bereits vor zwei Jahren thematisiert, aber inzwischen kritisieren die politisch gewollte kulturelle Verödung Hamburgs schon ganz andere, selbst die Boulevard-Presse wähnt sich in Werbeveranstaltungen, inzwischen massiv die Kulturschaffenden in Hamburg selbst, und ein neuer Kultursenator bekommt nicht einmal die Mehrheit seiner Regierungskoalition, Rücktrittsforderungen von Kulturschaffenden, sowie einen frustriert hinschmeißenden Intendanten





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