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© Dirk Burchard 14. Juni 2005 www.ryker.de/dirk/archiv/europa.html

29. Mai 2005

Auftakt zu einem Europa der Menschen- und Bürgerrechte

Zum 60. Jahrestag der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg am 8. Mai 2005 predigte Bundespräsident Horst Köhler in Berlin eine Rede mit dem Titel Begabung zur Freiheit. Damit waren wir gemeint, wir Deutsche, und so ist das nunmal seine Art, selbst an einem Tag, an dem der Opfer von Krieg, naziHerrschaft und entfesseltem Mob zu gedenken wäre, mit seinem völkischen Pathos zu missionieren. Zum Abhaken des Gedenkens hatte Horst Köhler sich die Floskel Es gibt keinen Schlussstrich zurechtgelegt, was aber am nächsten Tag durch die Eröffnung eines Mahnmals karikiert wurde, das den Holocaust zu einem Kinderspielplatz macht und Touristen nach Berlin locken soll. Köhler behauptete in seiner Rede, wir hätten die Gewissheit, dass wir Deutsche den Weg zu unserer freien und demokratischen Gesellschaft aus eigener Begabung zur Freiheit gegangen sind. Daß sich eine entsprechende deutsche Begabung bestenfalls nach Abzug der Besatzungsmächte im Jahr 1990 zeigen konnte, verschwieg er und auch daß die Bilanz dieser kaum fünfzehnjährigen Bewährungsprobe eher vernichtend ist, denn die 90er Jahre waren geprägt von brennenden Asylbewerberheimen, zahlreichen rechtsextremen Auswüchsen und der Militarisierung der deutschen Außenpolitk. Schleichend wird der Reichsarbeitsdienst wiederbelebt, indem Hartz-IV-Opfer zu 1-Euro-Jobs gezwungen werden. Bürgerrechte werden stetig abgebaut beim Ausbau des Überwachungsstaats, seitdem sich ehemalige Nutznießer des Kalten Kriegs mit ihren alten Methoden und einem islamistischen Feindbild im neuen Jahrtausend behaupten wollen. Noch immer ist es Druck von außen, der solchen Unfug stoppt, wie die drohende internationale Blamage durch NPDler im sächsischen Parlament zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz oder durch neonaziAufmärsche zum 8. Mai. Es waren die Attacken des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, von denen sich Bundesregierung in ihren Widerstand gegen den Irak-Krieg gedrängt sah, und es sind die Faxe aus den USA, mit denen Legenden der Generalbundesanwaltschaft von islamistischen Terrorzellen vor deutschen Gerichten zerplatzen, und erst wenn USamerikanische Ökonomen The German way to Nationalpark Hartz verspotten, wird man im preußischen Berlin vielleicht anfangen zu zweifeln, ob das alles tatsächlich einer freiheitlichen Bürgergesellschaft würdig ist, wenn man aus Berlin dann nicht doch wieder nur zurückblafft, daß wir doch selbst zur Freiheit begabt wären.

Ein Referendum über die EU-Verfassung hat es bei den zur Freiheit angeblich so begabten Deutschen gar nicht erst gegeben, obwohl dieses zum Mitlaufen und zum Opportunismus neigende Volk bei einer Volksabstimmung zweifellos zugestimmt hätte. Selbstverständlich ist man in Deutschland für ein Europa, das nach den millionenfachen Morden, die Deutsche mit ihren Weltkriegen begangen haben, ein Sprungbrett zurück auf die Weltbühne war. Selbstverständlich erfreut man sich in Deutschland einer europäischen Einigung, bei der man die Versöhnung mit den einst von Deutschen angegriffenen Kriegsgegnern als diskrete Dreingabe bekommen hat. Und selbstverständlich nutzt man in Deutschland die europäischen Freihandelszone, die man mit deutschen Produkten überschwemmen kann, weil man sich wenn schon nicht offen als Deutschnationaler, dann doch wenigstens als Exportweltmeister definiert. Dieses Europa hat den Deutschen viel gegeben, daß es ihm zwei Weltkriege verziehen hat, und das hätte für viele Deutsche auch so weitergehen können, insbesondere mit einem Europa, das Subventionen verteilt, Freihandel sichert und mit einer Dienstleistungsrichtline sicherstellt, daß Wettbewerb ein solcher unter Arbeitnehmern bleibt. Doch über diese Art der europäischen Integration haben die Deutschen nicht abgestimmt, und bis sie von Franzosen aus ihrer verlogenen europaEuphorie gerissen wurden, hätten die meisten Deutschen sich über Details erst recht keine Gedanken gemacht. Während in den Niederlanden eine konservative Regierung ein nicht bindendes Votum ihrer Bürger akzeptiert, hatte sich in der Freien und Hansestadt Hamburg ein von der CDU geführter Senat über eine mehr als 76 prozentige Ablehnung von Klinikverkäufen hinweggesetzt und will nun höhere Hürden für künftige Bürgerbeteiligung durchsetzen, ohne daß dieser demokratische Skandal in Deutschland zu einer angemessenen Aufmerksamkeit für die Proteste dagegen geführt hätte. Ohnehin werden Volksentscheide in Deutschland eher zum Aufpeitschen des Mobs benutzt, etwa um einer Minderheit vorzuschreiben, daß sie nicht in Bauwagensiedlungen wohnen darf. Vom demokratischen Kulturniveau der Schweiz mit ihrem hohen Grad an Sachthemenorientierung ist die Bundesrepublik Deutschland heute noch so weit entfernt wie Adolf Hitler vom Endsieg.

Erbärmlich daher die Darstellung des französischen Widerstands gegen die EU-Verfassung in den deutschen Medien. Zu reinem Protestverhalten wurde dieser zumeist erklärt, so wie ostDeutsche angeblich immer wieder nur aus Protest Rechtsextremisten wählen. Rein innenpolitische Gründe sollte das Abstimmungsverhalten der Franzosen laut deutschen Medien gehabt haben. Daß es in Frankreich landesweite Auseinandersetzungen um diese Verfassung und deren Zielsetzungen gab, sachliche Diskussionen auf einem so hohen Niveau, wie man das in Deutschland gar nicht kennt und daß es sogar organisierte Aktionen gab, wie sie in der alten Bundesrepublik allenfalls gegen die Volkszählungen der 80er Jahre mobilisiert worden sind, das alles kam in deutschen Medien fast nicht vor. Wenn sich die als Unterschichtenfernsehen diffamierten privaten Sender gegen das öffentlich-rechtliche Beschwichtigungsfernsehen hätten behaupten wollen, das wäre ihre Chance gewesen, einmal etwas von der Leidenschaft zu vermitteln, mit der Franzosen im Alltag politische Sachthemen differenzieren. Auch diese unsägliche Vermengung von linkem und rechtem französischen Widerstand in deutschen Medien war erbärmlich, als wäre eine Ablehnung aus nationalistischer Überheblichkeit dasselbe wie ein sachlich begründeten Non, zumal der Abstand zu den Ja-Sagern in Frankreich so riesig war, daß es auf die Rechtsextremisten schon gar nicht mehr angekommen ist. Noch nie habe ich daher so begeistert in das weinerliche Gesicht von Anne Will geblickt, wie am 29. Mai 2005, als sie in den tagesthemen verkündete, daß 55 Prozent der in Frankreich abgegebenen Stimmen die EU-Verfassung gestoppt hatten bei einer Wahlbeteiligung von rund 70 Prozent.

Die Vorteile der EU-Verfassung beschränken sich auf Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit im Ministerrat und geringfügig mehr Einflußnahme der europäischen Parlamentarier. Vor allem letzteres ist wichtig und sinnvoll, aber dafür hätte es keiner Verfassung bedurft, die einen solchen Namen nicht verdient. Vor allem die in Frankreich und Deutschland längst gescheiterte neoliberale Wirtschaftsideologie hat jedoch den Verfassungsentwurf des konservativen ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d'Estaing geprägt. Daß Franzosen hierfür nicht zu begeistern sind, ist auch dann kein innenpolitisches Problem, wenn sie diese Ideologie gerade den Pfingstmontag als arbeitsfreien Tag gekostet hat - ausgerechnet den Tag, an dem Christen die Verströmung des Heiligen Geists feiern, den diese Welt so bitter nötig hat. Aber vor allem das Fehlen von sozialen Mindeststandards und freiheitlichen Bürgerrechten im Verfassungsentwurf war den Franzosen offensichtlich und zu recht nicht als Fortschritt zu vermitteln. Der Verfassungsentwurf regelt vor allem das Regiertwerden - bis zum Aufrüstungsgebot in Artikel I-41 Absatz 3. Auf die wenigen organisatorischen Vorteile des Verfassungsentwurfs hätten sich die Regierungschefs auf einem ihrer regelmäßigen Bankette auch nebenbei verständigen können, ohne eine pseudoVerfassung in die Welt zu setzen, welche den Europäern keinen Fortschritt bei der Sicherung ihrer Menschenrechte, keine europäische Vision und damit auch keine europäische Integration bringen kann.

Historische rechtsstaatliche Fortschritte waren zuletzt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 und das westdeutsche Grundgesetz vom 23. Mai 1949. Letztere vor allem auch deshalb, weil sie mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und mit dem Bundesverfassungsgericht durchaus beachtlichen Rechtsschutz für Menschen- und Grundrechte vorsahen. Unter westalliierter Besatzung war unmittelbar nach dem Krieg sogar in Deutschland eine vergleichsweise hochentwickelte Verfassung möglich, mit der die Würde des Menschen zu ihrem prägenden Menschenbild und zum höchsten Wert wurde. Hinter der Unantastbarkeit der Menschenwürde verbirgt sich das pluralistische Programm des Grundgesetzes. Der Staat verpflichtet sich, die Freiheit jedes einzelnen Menschen zur Entfaltung seiner Individualität zu gewährleisten, denn nur der einzelne weiß, was für ihn persönlich erstrebenswert, für sein Dasein würdevoll ist. Dieses Bewußtsein der eigenen Würde, des höchstpersönlichen Maßstabs darf keinesfalls gebrochen und seine Entfaltung nur in begründeten Ausnahmefällen beschränkt werden, soweit die Würde anderer konkret bedroht ist. Damit wäre der oben erwähnte Hamburger Bürgerentscheid gegen Bauwagensiedlungen eigentlich verfassungswidrig gewesen, weil mit einem Referendum nicht einer Minderheit vorgeschrieben werden kann, daß sie nicht nach ihren eigenen Vorstellungen leben darf. Erst im Falle konkreter Bedrohungen anderer Schutzansprüche oder zur sorgfältig geplanten Gestaltung darf der Staat eingreifen und muß ansonsten respektieren, worauf sich seine Bürger untereinander einigen. Gefestigt hat sich dieses Menschenbild des unter westalliierter Besatzung möglichen Grundgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland leider niemals, und deshalb gelten dieses pluralistische Programm und insbesondere das Ideal der unantastbaren Menschwürde seit jeher Rechtsextremisten und Nationalkonservativen als historische Irrwege.

Einen effektiven Angriff auf diese demokratische Glanzleistung versuchte aber erst Roman Herzog mit der GrundrechtsCharta zur EU-Verfassung. Ebenso wie der eigentlich sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder den CDU-Politiker Horst Köhler im Mai 2000 zum Chef des Internationalen Währungs Fonds (IWF) befördert hatte, genauso hatte er auch den alten CDU-Haudegen Roman Herzog zum Vorsitzenden der Kommission zur Erarbeitung der GrundrechtsCharta zur EU-Verfassung protegiert. Roman Herzog hat diese Kommission wie immer autoritär geführt und mit seinen üblichen Dönekens verhindert, daß überhaupt ein produktives Arbeitsklima entstehen konnte, etwa indem er gegen den damaligen Präsidenten der EU-Kommission Prodi gefrotzelt hat, mit der EU-Verfassung sei jetzt Schluß mit dem Foltern im Keller der Kommission. Für das ungenügende Niveau der GrundrechtsCharta macht Herzog inzwischen die Rückständigkeit der übrigen Mitgliedsstaaten verantwortlich, die angeblich auch nicht ganz zu Unrecht gesagt hätten: Kein Mensch weiß, was Menschenwürde ist. Und am Ende entscheiden die Richter darüber. Deshalb fand er es laut DieWelt vom 14. September 2000 noch viel klüger zu schreiben, die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. Das wäre ein Bruch mit dem pluralistischen Menschenbild gewesen, weil die individuelle Menschwürde zu einem objektiv definierten Katalog verkommen würde, ein Mindestniveau, das der Staat offiziell nicht zu unterschreiten vorgibt. Damit hat Herzog sich aber offensichtlich bei seinen angeblich so rückständigen Spielkameraden aus den übrigen Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen können, denn der endgültige Verfassungsentwurf beginnt dann doch gleichlautend wie das Grundgesetz mit: Die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel II-61). Jedoch ist es ihm gelungen, das komplexe Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Verfassungsentwurf zu einem Recht auf Schutz personenbezogener Daten zu kastrieren (Artikel II-68), womit ein individuelles Freiheitsrecht zum zahnlosen Anspruch auf sorgsamen Umgang mit personenbezogenen Daten gegen die Obrigkeit verkommt. Ebenso konnte Herzog ein altes reaktionäres Anliegen durchsetzen, die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in eine Wehrdienstverweigerung umzulügen (Artikel II-70 Absatz 2), obwohl es dabei allein um eine Verweigerung des Kriegsdiensts im Kriegsfall geht, auf den der Kriegsdienstverweigerer dann auch nicht mittels Wehrdienst vorbereitet werden darf. Mit solchen reaktionären Provokationen hat sich Roman Herzog schon immer seine Zeit vertrieben: Anfang der 80er als Innenminister von BadenWürttemberg war er mal sehr stolz auf seine Idee, Sitzblockierern der Friedensbewegung für das Wegtragen je zwei angefangene Polizeistunden in Rechnung zu stellen, und als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts hat er am 11. November 1986 die gesamte Strafrechtsdogmatik durcheinandergebracht durch Aufweichung des Gewaltbegriffs, um Sitzblockierer wegen Nötigung zu bestrafen, was andere Bundesverfassungsrichter am 10. Januar 1995 wieder korrigiert haben. Wenn Herzog heute posaunt, das Grundgesetz sei ein großer Wurf gewesen, ist das kaum mehr als eine patzige Respektsbekundung, daß er da nicht so arg viel demontieren konnte, und den Ruck, von dem Roman Herzog in seiner vom Mob hochgejubelten Reden als Bundespräsident gefordert hat, er müsse durch Deutschland gehen, habe ich mir bestenfalls so vorgestellt, daß dieser naziZöglinge wie ihn endlich wegfegen würde - aber gemessen an Horst Köhler war Roman Herzog sogar noch ein Intellektueller.

Die EU-Verfassung ist also schon vom Entwurf her falsch, was spästestens bei der leidenschaftslosen Präambel zur GrundrechtsCharta klar wird, die völkisch beginnt, wo es doch wenigstens bei den Grundrechten um die Menschen in Europa als Individuen, als Europäer hätte gehen müssen. Das ist doch gerade das Wesen des europäischen Einigungsprozesses, daß die Menschen in Europa diesen völkischen Schwachsinn überwinden und jene Freiheit zum freien Austausch mit anderen Europäern zurückerhalten, der ihnen durch nationalistische Staatsgrenzen lange vorenthalten wurde und noch immer erschwert wird - da darf man doch keine nationalistischen Volksmassen definieren, um diese einfach zusammenzuschieben und sich einzubilden, dies ergäbe ein europäisches Bewußtsein oder gar eine demokratische Wertegemeinschaft.

Statt eines dürftigen Kompromisses hätte Europa einer kompromißlosen Besinnung auf Menschenrechte, auf fortschrittliche Freiheits- und Bürgerrechte bedurft, die ein EU-Parlament, eine Kommission und vielleicht irgendwann auch eine europäische Justiz zu gewährleisten hätten. Alles, was nichtmal das 56 Jahre alte Niveau des Grundgesetzes übertrifft und weiterentwickelt, ist eine Abstimmung nicht wert und wird auch nicht überzeugen. Allein zum Regiertwerden braucht niemand eine Verfassung, sondern zur Begründung und Sicherung seiner Freiheit.

Da hätte es einer europäischen Verfassung auch gut zu Gesicht gestanden, sie parallel zu einer Europawahl europaweit allen Europäern zur Abstimmung vorzulegen. Das hätte problemlos in Teilen passieren können, und wenn irgendwelche Regelungen keine Mehrheit finden, dann könnten diese auch überarbeitet und fünf Jahre später verbessert zur Abstimmung vorgelegt werden. Unter demokratischen Gesichtspunkten ist es nämlich schon ein jämmerliches Schauspiel, wie sich die EU-Bürokratie und einzelne Staatschefs aufspielen, weil ihre faulen Kompromisse nicht vom Volk abgenickt werden, wenn man es denn überhaupt fragt. Die fast fünfhundert Seiten des Verfassungsentwurfs sind auch eine gesetzgeberische Unverschämtheit wegen ihres Mangels an Klarheit und Übersichtlichkeit, weil es bei einer Verfassung vor allem darum geht, daß der einzelne seine Rechte erkennt und wo er sie im Konfliktfall geltendmachen kann, und zu solchen Konfliktfällen kommt es übrigens umso seltener, je klarer diese Rechte formuliert, je zuverlässiger sie gewährleistet und je umfassender sie daher akzeptiert werden.

Sicherlich gibt es Herausforderungen wie die völlig gegensätzlichen Gesellschaftsordnungen der Franzosen und Engländer oder obrigkeitsstaatliche Traditionen vor allem auch in ostEuropa. Diese Gegensätze sind aber nur mit einer konsequenten Besinnung auf Menschenrechte zusammenzuführen, weil nur dadurch die kulturellen Identitäten in den einzelnen Mitgliedsstaaten gewahrt bleiben und obrigkeitsstaatliche Beschränkungen aufgebrochen werden können. Ich würde mir zwar Kompetenzen der EU zur Festlegung europaweiter sozialer und umweltpolitischer Mindeststandards wünschen zur Vermeidung von Lohn-, Sozial- und Umweltdumping - aber wie weit eine Verfassung dazu ermächtigt, darüber sollen doch bitte alle Europäer abstimmen dürfen, wie weit sie danach danach die EU-Parlamentarier zur Abstimmung über konkrete Standards ermächtigen, denn solche europaweiten Abstimmungen über die Befugnisse des EU-Parlaments und der Kommission sind der einzige Weg zu einer legitmierten europäischen Verfassung und zu einem europäischen Bewußtsein.

Diesen derzeitigen Entwurf hatte Europa als Verfassung nicht verdient, und genau das haben zuerst die Franzosen am 29. Mai 2005 erkannt, das haben danach die Niederländer bekräftigt, die britische Regierung hat ihr Referendum am 6. Juni 2005 gestoppt, um sich gar nicht erst zum Affen machen für eine Verfassung, für die sie auf ihrer Insel keine Mehrheit überzeugen könnte, und derzeit werden Referenden in Dänemark, Schweden und Polen gestoppt. Dieser Verfassungsentwurf ist tot. Jacques Chirac hatte den 60. Jahrestag der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg am 8. Mai 2005 als Geburt eines geeinten Europas feiern lassen, um darüber die Stimmung für das Verfassungsreferendum anzuheizen. Das haben die im Revoltieren für Freiheitsrechte seit 1789 erfahrenen Franzosen auch richtig verstanden, daß erst die feudalen, obrigkeitsstaatlichen Kräfte endgültig gestoppt werden müssen, damit sich neue Perspektiven eröffnen. Jacques Chirac, Valerie Giscard d'Estaing, Gerhard Schröder und Roman Herzog sollen froh sein, daß das mit dem Stimmzettel passiert ist und nicht mit der Guillotine. Ich möchte mich bei allen Franzosen dafür bedanken, die das für Europa getan haben.





(Nachtrag: Wenige Tage nach Veröffentlichung dieses Artikels wurde der Verfassungsentwurf mittels verordneter Denkpause beerdigt auf einem EU-Gipfel, der im Streit über Haushaltsfragen scheiterte.)





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