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© Dirk Burchard 20./21. September und 2./3. Oktober 2004 www.ryker.de/dirk/archiv/widderlich.html

PsychicTV im Hafenklang, die Spacken aus den 90ern, und nie wieder Max Goldt

Otto von Bismarck, Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Adolf Hitler haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben es bis an die Spitze der Macht in Deutschland geschafft und sind alle im Tierkreiszeichen Widder geboren. Widder gelten als streitlustig, provozieren gern, reizen ihre Grenzen aus und nötigen dabei ihren zu solchen erklärten Streitgegnern ständig Kämpfe auf - man muß nicht an Horoskope glauben, um hier die Parallelen zu erkennen. Joschka Fischer ist auch ein Widder, hat es bisher aber nur bis zum Vizekanzler geschafft. In Wir sind die Wahnsinnigen beschreibt eine exFreundin sein Wirken jedoch im Zusammenspiel mit Daniel CohnBendit, daß sie bei den Grünen tun, was sie immer getan hätten: es wächst etwas, sie versuchen den Fuß in die Tür zu bekommen, dann übernehmen sie's, und dann ist es tot, weil es keinen Inhalt mehr hat. Daniel CohnBendit ist auch ein Widder, und ein Widder in einem Finanzministerium erklärte mir die Methode einmal so: Man weiß eigentlich über jeden etwas und wartet darauf, es auszuspielen.

Nun haben sich viele westDeutsche ziemlich lange gegen diese Kultur gewehrt, dagegen daß Helmut Kohl ab 1982 die Bundesrepublik zurück in seine idealisierte AdenauerÄra passend zur Frisur seiner Ehefrau Hannelore entwickelt. Das gelang ihm endgültig erst mit Unterstützung der ostDeutschen ab 1990. Kurz nach dem Fall der Mauer erlebte ich zum Beispiel in Berlin in Discotheken, wie die Clubs damals noch hießen, eine Häufung von Typen, die mich mit beiden Händen in die Hüften faßten, beseiteschoben, obwohl noch genug Platz gewesen wäre, und die sich merklich über mein Erschrecken gefreut haben, daß mich da jemand begrabbscht. Dieses Erstreiten von Lustgewinn auf Kosten anderer sollte in den Folgejahren zur neuen gesamtdeutschen Kultur werden, die stetig westwärts geschoben wurde und mich bald auch in Bremen einholte, wo ich damals wohnte. Auf den Fall des antifaschistischen Schutzwalls wurde mit der Unterstützung aus dem Osten ab 1990 der bisherige westdeutsche Widerstand gegen Kohls Widderkultur gebrochen.

Nun in Hamburg hatte mich Robert zum Konzert von PsychicTV im Hafenklang eingeladen, weil das ein Muß sein sollte. Da ich Robert nach dem Konzert nicht mehr finden konnte, wird er seine Meinung wohl geändert haben. Dabei hatte ich an diesem Konzert überhaupt nichts auszusetzen. Sicher, die Musik stammte aus einer anderen Zeit, aber danach war doch Techno nur noch die Hymne des Mobs, der mit riesigen Aufmärschen den Tiergarten, die Demonstrationsfreiheit und jeglichen Widerstand gegen das Mitlaufen niedertrampeln wollte. PsychicTV spielten also Musik aus einer besseren Zeit, zu der eine Individualität bejahende Kultur und die Achtung der Integrität anderer vergleichsweise hoch entwickelt waren.

Leider konnte ich das überhaupt nicht genießen. Und das lag an den Spacken im Publikum, an dieser Häufung von asozialen Gestalten, die sich ihren Spaß holten, indem sie ihn anderen verdarben. Niemand regt sich auf über kleine Menschen, die hinten einfach nichts sehen, aber da gab es normal große, die besonders amüsiert beim Vorbeidrängeln schubsten und schoben. Zigarettenglut wurde geschwenkt, um sich Aufmerksamkeit abzunötigen. Wegen der Nachhintendrängler, die ihren Rücken ständig gegen meinen Bauch lehnten, versuchte ich mich hinter Frauen mit Umhängetaschen zu halten, da diese immerhin etwas Abstand sicherten, aber die Girlies drängelten lächelnd mit einer solchen Geschwindigkeit nach vorn, daß ich da weder mitwollte noch mitgekommen wäre. Dann gab es Spacken, die jede Liedzeile lautstark kommentieren, und einer fand sich besonders lustig zu rufen: Mach dich nackig!, weil die Mopo verbreitet hatte, Genesis P-Orridge und seine Frau hätten sich beide jeweils Geschlechtsumwandlungen unterzogen, als ginge es es bei einem solchen Konzert um's Transexuellengaffen. Einige hundert Watt mehr Lautstärke, hämmernde Drums und Bässe sowie ein Verzicht auf jede leise Passage, in welche jemand hätte brüllen können, hätte diese Spacken vielleicht kleingekriegt, aber das wäre ein anderes Konzert gewesen.

Zum Ende habe ich dann noch meinen Platz gefunden als ich vorn in der Kneipe auf einer Bank gegenüber dem Tresen saß und die Musik aus dem Durchgang sowie über einen zusätzlichen Lautsprecher hörte - hat Spaß gemacht, und die Spacken sind dann alle an mir vorübergetrottet ohne mich nochmal zu berühren.

Ich hätte vielleicht gern etwas über die Musik geschrieben, aber dazu müßte erstmal diese asoziale gesamtdeutsche Kultur der 90er überwunden werden. Jedenfalls darin hat mich dieses Konzert eindringlich bestärkt.

Am nächsten Tag erfuhr ich, daß Robert nicht nur das Publikum genervt, sondern ihm auch die Musik zu sehr nach Punk-Rock geklungen hatte, und nichtmal zwei Wochen später erlebten wir dann die bürgerliche Variante von schrecklichem Publikum:

Eigentlich schon kurz vor jener Phase, die als Neue Deutsche Welle zur Randnotiz der Musikgeschichte wurde, gab es eine Band namens Foyer des Arts, deren Sänger nicht nur originelle Texte sang, sondern sein Publikum auch autoritär ermahnte, es möge aufhören rumzuschreien, wenn er von schimmligem Brot singen wollte. Besonders angetan hatte mir seine kompromißlos formulierte Frage an Betrunkene Frauen, die sich erboste: Warum soll ich dich verschonen - nur weil Du betrunken bist? Dieser hoffnungsvolle Sänger begegnete mir später als Schreiber spitzfindiger Kolumnen. Eines seiner Frühwerke hatte ich 1990 beim a-verbal Verlag bestellt, den es schon nicht mehr gab als ich das zweite dort erschienene Buch verschenken wollte. Anfang der 90er fuhr ich erstmals nach Delmenhorst, um eine seiner Autorenlesungen zu besuchen. Damals stand er hinter dem Eingang und beobachtete seine Zuhörer beim Eintreten.

Dergleichen veranstaltete Max Goldt nun im Polittbüro in Hamburg im Jahr 2004 nicht mehr. Das Kleinkunsttheater war ausverkauft, und Max Goldt huschte nur noch vorbei an seinem Publikum auf die Bühne, sichtlich im Bürgertum angekommen. Das ist jene Sorte von Publikum, das in der Pause in Gruppen zusammenstehend Sekt schlürft und selbst jene zum Vorbeidrängeln nötigt, die einfach nur zum Klo wollen. Solche Gestalten kümmern sich auch nicht darum, wenn ihr Zigarettenqualm jemandem direkt ins Gesicht weht, nein sie hoffen sogar, darauf angesprochen und um Unterlassung gebeten zu werden, weil sie sich damit Aufmerksamkeit abnötigen und dann Rücksichtnahme vortäuschen können. Dieses Publikum lächelt immer noch selbstverliebt, wenn ihnen vom Künstler erklärt wird, was sie angeblich nicht verstehen würden, und zwischen Pointe und Lacher gibt es peinlich lange Pausen.

Max Goldt überforderte dieses Publikum nicht, sondern rekonstruierte zunächst ein abendliches Gespräch mit einem Freund, in dem es um Vorzüge einer Pfeffermühle mit Mahlwerk von Peugeot ging und um das Understatement, keine halbmeterhohe Pfeffermühle zu besitzen, die doch nur in Restaurants verwendet würden, damit der Kellner sieht, an welchem Tisch er sie zuletzt abgestellt hatte. Auch Sinn und Zweck von in Unterhosen eingestickten Namen gab es zu ergründen. Und vor der Pause verlas Max Goldt einen langen Reisebericht aus Katar, der in wenigen Tagen in der ZEIT erscheinen würde. In Katar hatte es Max Goldt aber nicht gefallen, und der selbstmörderische Fahrstil auf arabischen Straßen ist leider ebensowenig erheiternd wie beim Anblick eines zum Gesundheitscheck aufgeschnittenen Falken an eine Originalhandschrift von Franz Kafka zu denken, auf die er hätte draufspucken können als ihm diese jemand in Erwartung von Ehrfurcht eines Schriftstellers vor Literatur präsentiert hatte. Die Kombination Kafka und draufspucken war bei diesem Publikum ein sicherer Lacher, aber was erwartet man von einem Autor, der für die ZEIT schreibt? Die letzte ZEIT, über deren Kauf ich mich geärgert hatte, stammte vom 17. September 1998 und titelte im Stil der verblichenen Zeitgeistmagazine TEMPO und Wiener mit Rechts wird schick, was mich in Magdeburg mit Aufmärschen der Neonazis vor Augen nicht in heitere Plauderlaune brachte wie wohl den gemeinen ZEIT-Leser.

In der Pause war Robert wegen Enttäuschung und Langeweile gegangen und ich saß allein beim zweiten Teil dieser noch trostloser werdenden Veranstaltung. Es ging um Journalistinnen, die sich gegenseitig Artikel unterjubelten, in denen es um Folter ging, und wie fand dieses Publikum es lustig, das Thema Folter endlich einmal in einem Zusammenhang präsentiert zu bekommen, in dem sie keine Betroffenheit heucheln mußten. Gleiches galt für die Feststellung der Glückseligkeit nicht der Architekt zu sein, der ein HolocaustMahnmal entwerfen muß - welch tiefes Mitgefühl für die unerträglichen Lasten des bürgerlichen Daseins und seiner grausamen Zwänge.

Einen kurzen Moment des Glanzes präsentierte Max Goldt mit jener Entschuldigung eines Goethedarstellers, der auf die Jämmerlichkeit seiner Parodie angesprochen antwortete, er sei nichtmal 40 Jahre alt, müsse das noch 18 Jahre durchhalten und könne sich noch nicht umbringen, weil seine Zwillinge noch nicht ihr Abitur bestanden hätten. Großartig, genau der richtige Vorhalt für dieses Publikum, nur plagte mich dieses Gefühl, Max Goldt rechtfertigt hier seine eigene Jämmerlichkeit als würde er seine Kolumnen unter Brücken schreiben, weil ihm Sozialhilfe verweigert und seine Frau ihm die gemeinsamen Kinder vorenthalten würde.

Die als letzte Kolumne angekündigte Darstellung von der Schwierigkeit, Redensarten wie An apple a day keeps the doctor away ins deutsche zu übersetzen, machte mir klar, daß ich mir eine Zugabe nicht mehr anhören würde. Aber nichtmal dazu kam es. In irgendeiner Variante der Übersetzung war der Doktor dann nämlich im Schacht, wo er gleich bleiben sollte bis die nächsten Bergleute zugeschüttet würden - da hielt mich nichts mehr auf meinem Stuhl, ich mußte raus und stand angewidert im Foyer, wo mich sechs Augen am Tresen fragend anstarrten, denen ich meinen Ekel kurz erläuterte. Man machte sich Sorgen, daß ich das Polittbüro in schlechter Erinnerung behalten könnte, was ich verneinte, da ich dort bereits einen kurzweiligen Abend mit der Prinzessin von Barmbek erlebt hatte, nachdem ich bereits zuvor in diesen Räumen von Marleni begeistert war. Immerhin hing ja auch eine Ankündigung zu Georg Schramm im Glaskasten, aber dessen Veranstaltung war leider ausverkauft.

Nun fällt mir kein passender Schluß ein an diesem ohnehin jämmerlichen Tag der deutschen Einheit, an dem der deutsche Bundespräsident fragte: Warum sollten wir nicht fröhlich sein? Sicherlich, Horst Köhler hätte sich bei Max Goldt köstlich amüsiert und die Pausen nach den Pointen ganz sicher nicht gefüllt. Der ist allerdings im Tierkreiszeichen Fische geboren wie Hannelore Kohl und kein Widder wie die Staatsoberhäupter zuvor...





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